Leipziger Buchmesse |
Seit geraumer
Zeit treibt die Debatte um die Streichung von rassistisch oder grundsätzlich
diskriminierenden Inhalten aus Kinderbüchern die Republik um. Während einige
Stimmen den Vorstoß von Ministerin Kristina Schröder befürworten, sprechen sich
doch einige dagegen aus. Folgende zentrale Argumente der Kritiker haben bisher
in mir allerdings eher Unverständnis hervorgerufen:
Den Vorwurf der
Zensur von
zeitgeschichtlichen Dokumenten finde ich unhaltbar: Volksverhetzende Schriften
werden ja auch aus dem Verkehr gezogen - wie es sich in einem Rechtsstaat
gehört. Und selbst wenn der Staat nicht lenkend eingreift, treffen Verleger
regelmäßig kommerzielle Entscheidungen, z.B. Wörter zu ändern um die Relevanz
ihrer Produkte zu gewährleisten.
Auch die
Aussage, so habe man früher einfach geredet, lasse ich nicht gelten.
Andere Wörter, die früher öfter oder anders verwendet wurden, werden sonst auch
ohne großes Aufheben an die Neuzeit angepasst: Man würde z.B. sicher Base und
Oheim mit Cousine und Onkel in der kleinen Raupe Nimmersatt ersetzen, ohne
Empörung hervorzurufen.
Bestimmte
andere Begriffe sind allerdings nicht nur veraltet, sondern viel eindeutiger
untragbar, weil ihre Bedeutung in der heutigen Gesellschaft als verwerflich
anerkannt ist. Dazu gehören zum Beispiel antisemitische und
menschenverachtende Begriffe aus der Nazizeit. Diese heute wider besseres
Wissen weiterhin zu benutzen, wird zu Recht nicht in Frage gestellt. In diesem
Zusammenhang nimmt der Staat eine eindeutige normative Rolle ein und
schreibt selbst der sonst künstlerfreiheitlich geschützten Kultur ihre Grenzen
vor. Das Verbieten bestimmter Begriffe wird zwar sicherlich nicht die tiefer
sitzende Diskriminierung ausrotten, aber führt zumindest dazu, dass der Staat
eine klare Position bezieht und die Betroffen schützt.
Diese werden in
der Debatte leider gerne übersehen. Für viele Deutsche ist Deutschland ein -
mit wenigen Ausnahmen - weißes Land. Nicht-weiße Deutsche sind in der
Öffentlichkeit unsichtbar. Deswegen werden ihre Belange und Gefühle
nicht ernst genommen, gar ins Lächerliche gezogen (“political correctness”).
Selten verstehen die Gegner einer Sprachaktualisierung, dass es nicht nur für
junge Leser, sondern auch ihre Familien schlicht und ergreifend verletzend
ist, mit diskriminierende Begriffen, die ihnen vielleicht gestern noch an den
Kopf geworfen wurden, in einem vermeintlich ‘sicheren Bereich’ wie einem
Kinderbuch konfrontiert zu werden. Ich würde sogar soweit gehen und vermuten,
dass die Gegner der Entfernung des N-Worts, die scheinbar der meinungsgebenden
Mehrheitsgruppe angehören, die Problematik, die mit diesen Begriffen einher
geht, selten erfassen: Welche Schimpfwörter hören weiße Deutsche, die man nicht
einfach souverän abschütteln könnte? Welche scheinbar sozial akzeptieren Wörter
geben weißen Deutschen das Gefühl, unerwünscht, unterlegen und wertlos zu sein?
Daher bietet
die öffentliche Diskussion, allein deren Existenz schon eine
bemerkenswerte Errungenschaft ist, die Möglichkeit, all diese Belange stärker
in den Mittelpunkt zu rücken.
Aus diesem
Grund erscheinen mir folgende Fragen, die mit der Umsetzung einhergehen könnten
und die für mich in dem Diskurs entschieden zu kurz kommen, viel relevanter als
die für mich rhetorische Frage nach dem ‘ob’ :
- Wie weit kann / darf / sollte der Staat überhaupt in die Kunst eingreifen?
- Was passiert mit absichtlich aufhetzenden Schriften / hate speech?
- Wo fängt Rassismus an und wo hört er auf?
- Was ist mit homophoben oder frauenverachtenden Inhalten?
- Wie verfährt man mit kritischen Passagen oder Kapiteln?
- Inwieweit haben die Autor_innen ein Mitspracherecht? Wie wird das Urheberrecht gewahrt?
- Sollten Begleitmaterialien für Eltern, die die Möglichkeit geben, populäre Schriften kritisch zu vermitteln und sogar zu dekonstruieren, bereitgestellt werden?
- Könnte ein eingefügtes Vorwort helfen, auf bestimmte Ambivalenzen hinzuweisen?
- Und wie kann das alles überhaupt finanziert werden?
Ziel der Debatte
sollte es eigentlich sein, zu verhindern, dass Kinder und Erwachsene jeglicher
Hautfarbe ggf. gegen ihren Willen diskriminierendem Gedankengut ausgesetzt
werden - schließlich werden nicht alle Kinder in einem Umfeld groß, in
dem jene Aspekte kritisch vermittelt werden. Das Erhalten einer Blase, in der
gedankenlos Menschen verachtende Begriffe und das dazugehörige Gedankengut vor
sich hin wuchern, sollte nicht über dem Recht des einzelnen stehen.
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