Jan 11, 2013

Lektionen in Demut: "Yoga für Fortgeschrittene"

Noch im letzten Dezember habe ich etwas getan, das ich nur ausgesprochen selten tue: Ich habe um ein Rezensionsexemplar gebeten. Mir werden zwar immer mal wieder welche angeboten, die mich grundsätzlich auch sehr interessieren, aber ich lehne in der Regel dankend ab, weil ich weiß, dass ich keine Zeit haben werde, sie zu lesen. Oder mir die Zeit nicht nehmen will, weil das Bücherrezensieren in meinem Leben keine Priorität genießt. Weil ich Non-Fiction Romanen vorziehe, weil ich meistens auf Englisch lese, damit meine eigene Schreibe nicht plötzlich klingt wie die von jemand anderem, und weil mich - leider, leider - nur die wenigsten Autorinnen mit ihrem guten Stil so lange bei der Stange halten können, dass ich ein ganzes Buch mit ihnen schaffe. Im letzten Frühsommer hat mich Josh Bazell mal zwei Bände lang amüsiert: Beat the Reaper war super, Wild Thing schon wieder etwas weniger.

Jedenfalls habe ich also nach einem Workshop mit Ronald Steiner im letzten November bei GU um ein Rezensionsexemplar von "Yoga für Fortgeschrittene" gebeten; eine Kollaboration von Steiner und Anna Trökes, von der die meisten Yoga-Praktizierenden in Deutschland wohl schon gehört haben. Sie hat dreißig Jahre in einem eigenen Studio in Berlin unterrichtet, seit einiger Zeit konzentriert sie sich aber auf die Ausbildung neuer Yogalehrer und das Verfassen von Büchern. Ronald Steiner ist Sportarzt und Macher der Seite AshtangaYoga.info. Meine Erwartungen an ein Sachbuch von beiden waren also entsprechend hoch.

Und, wer hätte es gedacht, sie wurden nicht enttäuscht. Die Mischung aus Philosophie, Übungsanweisung und Anatomie ist in dieser Form meines Wissens so noch in keinem deutschsprachigen Yogabuch da gewesen. Neben schönen und informativen Fotos und Illustrationen sind zu den Übungen auch Gegenanzeigen, medizinische Hintergrundinfos und Ausführungsanweisungen enthalten. Letztere gehen deutlich mehr ins Detail als ich es aus anderen Büchern zum Thema kenne, für Menschen wie mich also, die sich auch mit den anatomischen Facetten des Yoga befassen wollen, ist das sehr interessant. Sogar das Kapitel zu Atemübungen und Meditation ist mit derlei Hinweisen versehen. So habe ich zum Beispiel zum ersten Mal gelesen, dass Luftanhalten Migräne vorbeugen kann (sehr vereinfacht gesagt). Dabei sind die beschriebenen Übungen nicht Teil einer festen, vorgeschlagenen Abfolge, sondern sollen laut Anweisung je nach Interesse frei kombiniert werden. Herrlich undogmatisch. 

Vanya Francis von Om Point Yoga
Das einzige designpolitische Manko, das man dem Buch vorwerfen kann, ist, dass die darin abgebildeten vier Personen - drei Frauen und Ronald Steiner - alle ziemlich weiß sind. Ich schreibe "ziemlich", weil mit Franziska Agrawal auch ein etwas dunklerer Typ vertreten ist. Das freut mich erstmal. Aber als Bloggerin mit feministischem, anti-rassistischem Hintergrund hätte ich mir noch mehr Diversity im Bild gewünscht. Auch wenn mir klar ist, dass der Yoga-Markt weiß dominiert ist, gibt es diverse Black Yogis, die ebenfalls toll ins Buch gepasst hätten. Meine Vermutung ist, dass Ronald die Modelle einfach in seinem Freundeskreis rekrutiert hat. Was natürlich ok ist, aber GU bittet im Impressum um Anregungen für künftige Bücher, und das wäre meine.     

Was den Fortgeschrittenen-Aspekt betrifft, bin ich in meinem noch nicht komplett aufgelösten Ego etwas zwiegespalten. Einerseits ist er durch die philosophischen und anatomischen Hintergrundinfos gegeben, andererseits sind die Asanas zumeist altbekannt und - zumindest, was das Körperliche Üben betrifft - für Praktizierende mit mehrjähriger Erfahrung wohl keine besondere Herausforderung mehr. Andererseits soll es im Yoga ja letzten Endes nicht um das Körperliche gehen. Kraft und Flexibilität sind lediglich willkommene Nebeneffekte. Die Einleitung des Buches mit dem Titel "Fortgeschrittenes Üben im Anfängergeist" ist hier besonders interessant: Darin steht, dass es auch beim fortgeschrittenen Üben stets darum geht, jede Praxis neu zu erleben. Der Fortschritt betrifft also nicht die Fähigkeit, den eigenen Körper noch extremer verbiegen zu können, sondern die eigene Haltung zu Dingen, die um einen herum passieren. Im Wesentlichen bedeutet eine Yoga-Praxis innere Entwicklung. Ein guter Hinweis, wie ich finde, mehr denn eine lahme Ausrede für den relativen Mangel an verrückten Verdrehungen im Buch.

Fazit: Ein sehr schönes Yoga-Buch für alle, die es genauer wissen wollen. Es liefert jede Menge Information, die man erstmal verdauen muss. Seine gute Struktur und ansprechende Gestaltung machen es aber auch gut lesbar für Leute, die Text lieber in Häppchen konsumieren. Ich werde "Yoga für Fortgeschrittene" sicherlich noch öfter gerne als Nachschlagewerk zur Hand nehmen. Vielen Dank dafür!

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