Jan 25, 2013

Keine Frau hat je genug geschrieben!

Illustration: Annina Luzie Schmid
tldr: Wer sich gegen Diskriminierung stellt, kann sich nicht nur gegen eine Form der Diskriminierung stellen. Wer Rassismus und Sexismus verteidigt, hat keinen Anstand und auch keinen Platz in einer lebenswerten Gesellschaft. Alle, die sich gegen Diskriminierung stellen, dürfen schreiben, was sie wollen, wann sie wollen. Besonders Frauen. 

Auf Facebook finden gerade zwei Debatten statt, die ziemlich viel gemeinsam haben.


Das N*Wort
Zum einen wäre da die N*Wort-Debatte. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass alle, die auch nur fünf Minuten ernsthaft über das Thema nachdenken, zu dem Schluss kommen werden, dass dieses Wort aus neuaufgelegten Kinderbüchern verschwinden muss. Dabei spricht natürlich nichts gegen Originalfassungen der Texte, die als Zeitdokumente in Bibliotheken eingesehen werden können.  
Zeitgemäße Anpassungen einzelner Wörter bedeuten keinen Eingriff in Weltliteratur, sondern signalisieren den vorlesenden Eltern, dass ihr höchstwahrscheinlich (oft auch unbewusst) vorhandener Alltagsrassismus nicht mehr angesagt ist. Die Welt dreht sich weiter, macht gesellschaftlichte Fortschritte. Das ist wünschenswert. Besonders im Falle des N*Wortes, das eben nicht beschreibend, sondern wertend ist. Abwertend, um genau zu sein. Daher hat die Vermeidung des Wortes auch nichts mit der Worthülse 'Political Correctness' zu tun, die ohnehin nie etwas anderes als ein Schimpfwort war, sondern mit Anstand.

Alltagsrassismus bei LovelyBooks
Versuche, die N*Wort-Debatte für die eigene Publicity zu nutzen - wie hier demonstriert an einem wirklich außerordentlich dämlichen Post von LovelyBooks - gießen Öl ins Feuer und beweisen, dass noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten ist. Und zwar auch bei Menschen, die sich für belesen halten. Bleibt nur zu hoffen, dass der Weg wirklich das Ziel ist. Auf eine Entschuldigung der Administratoren der Seite warten die UserInnen seither übrigens vergebens.

Bücher, in denen sich der idealtypische Grundsatz der Menschlichkeit nicht wiederfinden lässt, sind meiner Meinung nach nicht für Kinder geeignet. Und Texte, die so rassistisch durchzogen sind, dass einzelne Wortanpassungen nicht genügen, um dem Problem beizukommen, sollten aus dem Kinderbuchkanon verschwinden. Und was, bitteschön, sollen wir dann vorlesen, werdet Ihr fragen.  „König und König“ vielleicht: Eine Geschichte, in der einem Prinzen viele schöne Prinzessinnen angeboten werden, er sich am Ende aber für einen Prinzen entscheidet.


Wie das alles mit uns zusammenhängt I
Ich bin wirklich nicht vorne dabei, was den aktuellen akademischen feministischen Diskurs betrifft, aber es liegt auf der Hand, dass sich Menschen, die sich grundsätzlich gegen Diskriminierung stellen,  nicht nur gegen eine Form der Diskriminierung stellen können. Feministinnen wie bell hooks wissen das schon sehr lange.
Wer ein Herz hat, hat nicht nur eines für mächtige, weiße Menschen, sondern auch eines für weibliche Menschen, eines für homosexuelle Menschen, eines für nichtweiße Menschen, eines für Menschen mit Behinderung und sogar eines für Tiere. Alle anderen haben keins.
Ich gebe zu: Bis ich das verstanden hatte, brauchte ich eine humanistische Erziehung, Psychologeneltern, einen internationalen Freundeskreis, ein Studium der Kriegs- und Friedensforschung, die Mädchenmannschaft und eine regelmäßige Yogapraxis. Aber der Aufwand hat sich gelohnt. Und vielleicht hätte ich nichts davon gebraucht, wenn es bereits zu Zeiten meiner Geburt andere gesellschaftliche Werte, Realitäten und Kinderbücher gegeben hätte.

Und weil ich selbst so viele Jahre gebraucht habe, um das mit der Diskriminierung zu verstehen, weiß ich, dass ich von Leuten, die sich zum ersten Mal mit der Thematik befassen, nicht erwarten kann, dass das bei ihnen schneller klappt.
Was ich aber erwarte, ist, dass man sich die Zeit nimmt, über neue, für einen selbst unübliche Standpunkte nachzudenken. Selbst, wenn man in seinem Freundeskreis keine dunkelhäutigen oder lesbischen Freundinnen hat - es gibt das Internet, Fernsehen und Bücher. Diese Medien informieren oft selten genug über die von uns Weißen produzierte, oftmals ätzende Lebensrealität der Betroffenen. Oder über ihre riesigen Erfolge trotz all unserer Versuche, diese zu sabotieren. Mehr zu dieser Tatsache, genannt Alltagsrassismus, findet Ihr zum Beispiel in Plantation Memories von Grada Kilomba oder Deutschland Schwarz Weiss von Noah Sow.
Wahrscheinlich fühlt Ihr Euch jetzt gerade aber erstmal nicht ganz wohl mit dem vergemeinschaftenden "wir" meiner Sätze. Dann fragt Euch mal, wie Ihr in der Vergangenheit in kritischen Situationen reagiert habt - oder eben auch nicht. Ich kenne sie bedauernswerterweise von mir selbst: Die vielen Momente, in denen ich lieber geschwiegen habe, als das Richtige zu sagen. In denen ich mich nicht gewehrt habe, als ich mich hätte wehren sollen. Natürlich nicht gegen rassistische Ausgrenzung, aber gegen Sexismus zum Beispiel.


Der kleinbuchstabige #aufschrei

Quelle: bild.de
Das ist nämlich die andere Debatte, die in den sozialen Medien gerade stattfindet: Von Twitter (#aufschrei) bis zur BILD, die artgerecht natürlich gar nicht anders kann, als das Wort "Belästigung" ohne das verharmlosende Wort "Flirt" zu schreiben, fragt sich Deutschland, ob es in Ordnung ist, wenn Männer Frauen als Sexobjekte betrachten (*hinthint*: ist es nicht!). Und die Journalistin hat den Text auch nicht geschrieben, um "Schampus vom Chef" zu bekommen. Sie hat ihn geschrieben, weil es notwendig war.

Sie ist übrigens auch nicht die Erste, die solche Mißstände anprangert, sondern die Erste, die dank eines geschickt gewählten Veröffentlichungszeitraums das Glück hat, gehört zu werden. Viele Organisationen, Frauenhäuser und Aktivistinnen kämpfen jeden Tag für eine Gesellschaft ohne sexuelle Gewalt.

Bloggerinnen wie Sue Reindke oder Ninia Binias schreiben seit gestern ihre eigenen schlimmen Erfahrungen auf. Und Antje Schrupp erklärt dankenswerterweise allen, warum solche Vorfälle eben keine Lappalien sind. Und warum sie sehr wohl auch den Ausgang einer Wahl bestimmen dürfen. Klar ist: Menschen dürfen sich jederzeit gegen eine Abwertung ihrer Person wehren. Und die Devise muss immer lauten: Besser spät als nie!

Um nun zu den Situationen zurückzukommen, die ich oben angesprochen habe, hier ein paar Beispiele:
  • Nichtweiße BerlinerInnen werden gefragt, wo sie "wirklich" herkommen
  • Ein lesbisches Paar wird in der Innenstadt bespuckt
  • Jemand faßt Eurer tätowierten Freundin auf die Tinte/ Eurer schwangeren Freundin auf den Bauch/ Eurem Freund mit den schönen Locken ins Haar
  • Ihr seid in Jeans und T-Shirt unterwegs, ein Passant raunt Euch "Fick mich, Schlampe!" zu
  • Eine junge Frau stellt sich als Jane vor, ein Anwesender grunzt: "Ich Tarzan, Du Jane"
... die Liste ließe sich endlos verlängern.


Wie das alles mit uns zusammenhängt II
Es ist wirklich an der Zeit, dass wir uns als Gemeinschaft von vermeintlich harmlosen Beleidigungen im Alltag verabschieden. Erst recht, wenn sie rassistisch, frauenfeindlich oder homophob sind. Sich gegen diese Art der Beleidigung zu stellen, hat nichts mit Unlockerheit oder Humorlosigkeit zu tun. Ihr müßt Euch nicht "endlich mal entspannen" oder "Spaß verstehen". Es geht hier um die Art von Gesellschaft, in der wir leben wollen. Darum, menschenverachtende Muster zu durchbrechen und sich den Arsch in die Hose zurückzutrainieren. Ihr könnt es nicht oft genug sagen und schreiben. Es kann nicht oft genug auf Titelseiten stehen. Erst recht nicht, wenn Ihr Euch als Frauen versteht. Denn wie hat bell hooks einst gesagt:

No black woman writer in this culture can write "too much". Indeed, no woman writer can write "too much". No woman has ever written enough.

Wir dürfen, ja: müssen, schreiben - wann wir wollen, was wir wollen.  

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